1363 Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen (Frankreich, Italien, Österreich, Schweiz, Slowenien)

Die Prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen sind Relikte vergangener Siedlungen aus dem Jungneolithikum, der Bronze- sowie der frühen Eisenzeit. Ihre Fundstellen sind in feuchten Umgebungen gelegen, die ideale Erhaltungsbedingungen für organische Materialien wie Holz, Textilien und Pflanzenreste bieten. Zu den bedeutenden Funden gehören die ältesten Radfunde Europas sowie die ältesten Textilien Europas, welche aus der Zeit um 3000 vor Christus stammen. Einbäume, Räder und Wagen vermitteln wichtige Erkenntnisse zu Handel und Mobilität in frühen Siedlungsgemeinschaften. Die Fundstellen der Pfahlbauten rund um die Alpen gewähren einzigartige Einblicke in die Welt der frühen Bauern, deren Alltagsleben, Landwirtschaft, Viehzucht und technische Innovationen.

 

Die Prähistorischen Pfahlbauten sind ein auf den ersten Blick kaum sichtbares Erbe und doch als archäologische Fundgruben von großer Wichtigkeit für das Verständnis früherer Agrargesellschaften in Europa. In einzigartiger Weise geben die Überreste prähistorischer Siedlungen Einblick in Leben und Handelsbeziehungen im Alpenraum sowie in die Anpassung dieser Gesellschaften an ihre Umwelt unter sich verändernden klimatischen Bedingungen. Dank naturwissenschaftlicher Analysemethoden können Baustrukturen ganzer Siedlungen jahrgenau (Dendrochronologie) datiert und der Werdegang der Dörfer und ihrer Umgebung (Paläoökologie) nachgezeichnet werden.
Die serielle transnationale Welterbestätte umfasst 111 Pfahlbaufundstellen in sechs Ländern um die alpinen und subalpinen Gebiete in Europa. Diese Fundstellen befinden sich unter Wasser, an Seeufern, entlang von Flüssen oder in Feuchtgebieten und bergen Überreste prähistorischer Siedlungen aus der Zeit zwischen 5.000 und 500 vor Christus. Auf Grund ihrer Lage oft kaum noch an der Oberfläche sichtbar, profitieren die Stätten von den durch die feuchten Böden hervorragenden Konservierungsbedingungen für organische Materialien. Dieser archäologische Schatz, erforscht mit Hilfe von Unterwasserarchäologie und der Naturwissenschaften, erlaubt in einzigartiger Weise Einblicke in die Lebensweise der Siedlungsbewohner, die Konstruktionstechniken der Dörfer, der landwirtschaftlichen Entwicklung und der Entstehung der Metallverarbeitung. Somit sind die prähistorischen Pfahlbauten eine der wichtigsten archäologischen Quellen für die Erforschung der Welt der frühen europäischen Agrargesellschaften (Aufnahmekriterium iv). Sie eröffnen eine außergewöhnliche Möglichkeit, die Veränderungen während der Jungsteinzeit und dem Bronzezeitalter in Europa zu verstehen und insbesondere die Austauschbeziehungen zwischen den Regionen um die Alpen (Aufnahmekriterium iv). Zu den Ausgrabungsstücken gehören die ältesten Textilien Europas von etwa 3.000 vor Christus sowie Kanus und hölzerne Räder, einige davon vollständig mit Achsen für zweirädrige Karren, die Zeugnis der alpinen Handelsrouten für Feuerstein, Muscheln, Gold, Bernstein und Keramik geben.
Die Pfahlbaufundstätten geben auch Aufschluss über die Siedlungsstrukturen der prähistorischen Gesellschaften an den Seeufern über einen Zeitraum von über 4.000 Jahren hinweg (Aufnahmekriterium v). Von besonderer Bedeutung für die heutige Zeit sind dabei die Rückschlüsse, die sich aus diesen archäologischen Quellen über die Wechselwirkungen zwischen den Siedlern und ihrer Umwelt, insbesondere im Angesicht klimatischer Veränderungen, ziehen lassen. Die Welterbestätte bietet hier das Potential, aus der Geschichte heraus Lehren für den Umgang mit dem Klimawandel heute zu ziehen.
Die prähistorischen Pfahlbauten belegen nicht nur Austauschbeziehungen innerhalb Europas vor tausenden von Jahren, die Welterbestätte selbst weist auf Grund ihres transnationalen Charakters auch heute ein stark völker- und kulturverbindendes Potential auf. Die sechs Staaten Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Schweiz und Slowenien sind gemeinsam für Schutz und Erhalt, Management und Vermittlung der Welterbestätte verantwortlich. Mehr Informationen zu dieser grenzüberschreitenden Kooperation finden sich im Konferenzbericht Perspectives of Transboundary Cooperation in World Heritage, herausgegeben durch die Deutsche UNESCO-Kommission.
Ein Bewusstsein für den Wert der Welterbestätte und die Notwendigkeit ihres Erhalts zu schaffen, ist im Falle der oftmals schwer zugänglichen und zudem kaum sichtbaren prähistorischen Pfahlbauten eine besondere Herausforderung. Zugleich ist diese Bewusstseinsschaffung von großer Bedeutung, um den langfristigen Erhalt der Stätte und die Weitergabe des durch sie ermöglichten Wissens zu garantieren. Zu den diversen Vermittlungsangeboten der Stätten gehört unter anderem die App „Palafittes Guide“ mit Information zu 60 Fundstellen in Bayern, Österreich und der Schweiz. In Baden-Württemberg konnten sich Jugendliche darüber hinaus 2014 und 2015 erstmals in einem einjährigen Kurs zu Pfahlbauten-Multiplikatoren ausbilden lassen.

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